• Veröffentlichungsdatum : 28.05.2015
  • – Letztes Update : 15.03.2016

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Kann man Kriege noch gewinnen?

Dr. Wendelin Ettmayer

Nach Jahren größter Anstrengungen der Alliierten im Nahen Osten stellten diese fest, dass der Gegner in Afghanistan noch immer nicht besiegt war, die Iraker einen blutigen Bürgerkrieg führen und Terroristen unter dem Namen „ISIS-Gotteskrieger“ weiter Teile des Landes besetzten. Und in Libyen selbst kam es nach dem Sturz von Diktator al-Ghaddafi zum Chaos. Die ganze Region wurde mit Waffen überschwemmt, die für neue kriege verwendet wurden, und die Flüchtlingswelle nach Europa erreichte ein neues Ausmaß.

Warum kam es zu all dem? Weil es, was Kriege betrifft, im nicht-strategischen Bereich entscheidende Veränderungen gegeben hat:

  • Ein militärischer Sieg bedeutet nicht mehr automatisch einen politischen Sieg;
  • Es gab bedeutende gesellschaftspolitische Veränderungen;
  • Das Wesen von Sicherheit und Macht hat sich entscheidend geändert.

Militärische Siege und politische Niederlagen

Das Wesen des Krieges besteht nach Carl von Clausewitz darin, jemandem mit physischer Gewalt seinen Willen aufzuzwingen. D. h., man muss töten und zerstören, was heute zumindest die westliche Psyche stört, wenn diese Ereignisse direkt in den Medien übertragen werden.

Jahrhunderte lang genügte ein militärischer Erfolg, um nicht nur Herrscher am Schlachtfeld zu besiegen, sondern auch, um dessen Untertanen zu beherrschen. Durch die Bildungsrevolution und die Informationsrevolution wurden die Menschen mündiger. Man war nicht mehr gewillt, den Willen eines anderen einfach zu akzeptieren. Diese Tendenz kann durch einen religiösen oder ideologischen Fanatismus noch bestärkt werden. An der „Heimatfront“ werden Kriegserklärungen nicht mehr so einfach hingenommen. Die Begründungen für Kriege werden hinterfragt. Aus Untertanen wurden Staatsbürger, auch in der Außenpolitik.

An der militärischen Front bedeutet diese Entwicklung, dass mit einem militärischen „Sieg“ dem Besiegten noch lange nicht ein fremder Wille aufgezwungen werden kann. Hat es auch früher in der Geschichte immer wieder Guerillakämpfer gegeben, so wurden deren Möglichkeiten durch die Entwicklung der Technik und der Medien gewaltig gestärkt. So kann ein militärischer Sieg in eine politische Niederlage umgewandelt werden.

Das gesellschaftliche Umfeld hat sich geändert

  • Die Haltung zum Krieg ist eine andere als früher: Jahrhunderte hindurch war der Krieg ein integraler Bestandteil internationaler Beziehungen. Scheiterten Verhandlungen oder wollte ein Herrscher seine Macht vergrößern, kam es zum Krieg. So sehr diese Haltung für manche Länder auch heute nicht ausgeschlossen ist, so wurde der Krieg als Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen für westliche Wohlfahrtsstaaten undenkbar;
  • Die Menschen wurden mündiger, das gilt für die Sieger und die Besiegten;
  • Die Haltung zum Heldentum hat sich verändert: Seit Urzeiten galt es als „schön und ruhmreich, auf dem Feld der Ehre zu sterben“. Heute scheint es, dass das Fußballfeld das Schlachtfeld als „Feld der Ehre“ abgelöst hat.

Neue Dimensionen von Sicherheit/Macht

Über Jahrhunderte basierten Sicherheit und Macht im internationalen Bereich auf militärischer Stärke. Wer zu den Großmächten zählen wollte, benötigte starke Streitkräfte. Nunmehr hat sich das Wesen von Sicherheit und Macht entscheidend geändert: Bestand traditionelle Sicherheit zu 90 Prozent aus militärischer Sicherheit, so sind es heute nur mehr 10 Prozent. So geht es heute, gerade auch im internationalen Bereich, zunächst um „Human Security“, um die Verbesserung der Lebensqualität der Bürger, um Lebensstandard, Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Es geht um die Bekämpfung von Finanz- und Wirtschaftskrisen; um den Umweltschutz und die Entwicklung von Erziehung und Gesundheit. Das heißt nicht, dass man keine Kriege mehr führen kann. Aber sehr wohl kann man die Frage stellen, welche Lösungen man mit Kriegen erreicht.

Das Wesen der Macht hat sich geändert: Gingen früher jene Menschen als „groß“ in die Geschichte ein, die erfolgreiche Eroberer waren, so ist man heute bestrebt, Aggressoren vor ein internationales Gericht zu bringen. War Außenpolitik früher „Domain reservé“ des Herrschers, so gibt es heute zahlreiche Player, die die Macht unter sich aufteilen: Regierungen und Parlamente, NGO, Medien und internationale Konzerne. Selbst Einzelpersonen und Bürger, die sich auf „Social Media“ stützen, können einiges bewegen.

Insgesamt kann man feststellen, dass einerseits die großen Veränderungen der letzten Jahrzehnte vom Zusammenbruch der Sowjetunion bis zum Aufstieg Chinas, von der Abschaffung der Apartheid in Südafrika bis zur Einigung Deutschlands ohne kriegerische Auseinandersetzungen vor sich gingen, während andererseits die Kriege der letzten Jahrzehnte kaum die gewünschten Ergebnisse gebracht haben. Es ist wohl schwieriger geworden, Kriege zu gewinnen.

Dr. Wendelin Ettmayer war Nationalrat und der österreichische Botschafter in Finnland, Kanada und dem Europarat.

 

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