• Veröffentlichungsdatum : 08.07.2020
  • – Letztes Update : 10.07.2020

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Forschung und Lehre für die Flotte

Jürgen Draxler

Das Schifffahrtmedizinische Institut der Marine der Deutschen Bundeswehr in Kronshagen ist „die“ zentrale sanitätsdienstliche Einrichtung der Deutschen Marine und ein Ressortforschungsinstitut des Bundes. Es erforscht das gesamte Spektrum der Maritimen Medizin sowie der Maritimen Psychologie. Darüber hinaus führt das Institut Begutachtungen, Behandlungen und Eignungsfeststellungen durch. Es ist außerdem Ausbildungseinrichtung des gesamten sanitätsdienstlichen Personals der deutschen Flotte und für die Schiffsarzt- sowie die Taucherarztausbildung der Bundeswehr verantwortlich. Das Institut zählt 67 uniformierte und 18 zivile Mitarbeiter.

Das Schifffahrtmedizinische Institut der Deutschen Marine wird im Jahr 2023 – inklusive seines Druckkammerkomplexes „Hydra 2000“ – von Kronshagen bei Kiel auf den Campus des Bundeswehrkrankenhauses nach Hamburg umziehen. Die Bauarbeiten dafür haben bereits begonnen. Ein wesentlicher Grund für den Umzug: Zur Umsetzung aller Aspekte der Hyperbaren Medizin (Sauerstofftherapie) ist ein Krankenhaus vor Ort erforderlich. Seit der Schließung des Bundeswehrkrankenhauses in Kronshagen, in den 1990er-Jahren fehlte dem Institut, wie der Leiter des Institutes, Flottenarzt Dr. Dirk Möllmann, es formuliert, „diese klinische Hinterdeckung“. Dass mit dem Umzug in einen Neubau zudem modernste Labore zur Verfügung stehen werden, ist für ihn ein erfreulicher zusätzlicher Gewinn.

Vom Umzug unberührt bleibt die Kooperation des Schifffahrtmedizinischen Institutes der Marine mit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. So bildet die Abteilung III (Forschung und Wissenschaft) weiterhin gemeinsam mit der Universität die Sektion Maritime Medizin am Institut für Experimentelle Medizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, das die Universitäten Kiel und Lübeck umfasst. „Wir werden uns aber auch in den Wissenschaftsstandort Hamburg einbringen – zumal Hamburg Zentrum der Maritimen Medizin in Deutschland ist“, erklärt Möllmann.

Dementsprechend hat das Schifffahrtmedizinische Institut der Marine jüngst einen Kooperationsvertrag mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und dem dortigen Zentrum für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin abgeschlossen. „Andere Kooperationen – wie beispielsweise mit dem Institut für Radiobiologie (der Bundeswehr; Anm.) in München – sind projektabhängig“, ergänzt Flottenarzt Prof. Dr. Andreas Koch, Direktor Forschung und Wissenschaft sowie Abteilungsleiter III. Dass man nicht nur institutionell, sondern auch personell vernetzt ist, verdeutlicht Koch an einem Beispiel: „Ein Kollege von mir habilitiert gerade an der Medizinischen Fakultät in Lübeck.“

Was die Forschungsinhalte des Schifffahrtmedizinischen Institutes der Marine betrifft, wird die Bandbreite weitgehend – aber nicht ausschließlich – vom Bundesministerium der Verteidigung definiert. Dieser Forschungskorridor umfasst Schifffahrt-, Tauch- und Überdruckmedizin, wobei die Schwerpunkte im Bereich der Schifffahrtmedizin unter anderem in der Seekrankheits- und der Unterkühlungsforschung liegen. Zur tauchmedizinischen Forschung erläutert Koch: „Da geht es vor allem um Fragen des Sauerstoffüberangebots, also Hyperoxieforschung – insbesondere im Grundlagenbereich, weil hier ein großer Forschungsbedarf besteht und um die HBO-Behandlung (hyperbare Sauerstofftherapie; Anm.) auf eine evidenzbasierte Grundlage zu stellen.“

Abgesehen davon, dass das Verteidigungsministerium festlegt, welches seiner Ressortforschungsinstitute welchen Schwerpunktauftrag hat, bearbeitet das Institut regelmäßig auch praxisorientierte Fragestellungen aus der Flotte zu schifffahrtmedizinischen oder ergonomischen Aspekten des Dienstes an Bord. Zudem führt das Schifffahrtmedizinische Institut der Marine Projekte fort, die sich aus der eigenen Forschungsarbeit und deren Erkenntnissen ergeben. Koch: „Wir haben im Ministerium Ansprechpartner, bei denen wir Projekte einreichen, Drittmittel beantragen können und denen wir unsere Publikationen vorlegen. Wir koordinieren die Arbeit im Speziellen mit unserem Wissenschaftlichen Beirat. Mit ihm stimmen wir einmal jährlich im Marinekommando die Grobplanung für das Folgejahr ab.“

Neben der skizzierten Forschungsarbeit beschäftigt sich das Schifffahrtmedizinische Institut der Marine mit der Weiterentwicklung von Verfahren und Ausrüstung, die im maritimen Alltag angewendet beziehungsweise genutzt werden. Ein Beispiel ist der Einsatz von Personenrettungsmitteln an Bord von Schiffen oder U-Booten. „Dafür haben wir ein Rettungsmittellabor und arbeiten auch mit den NATO-Marinen zusammen, weil die Fragestellungen für uns alle vergleichbar sind“, erklärt der stellvertretende Leiter des Instituts, Flottenarzt Dr. Ulrich van Laak, der außerdem Abteilungsleiter und Leiter des Ausbildungszentrums Marinesanitätsdienst ist.

Ein Beispiel für multinationale Vorhaben sind Untersuchungen von Festrumpfschlauchbooten (Rigid Inflatable Boats). Diese Boote haben sich wegen ihrer oft spektakulär wirkenden Manöver zu Lieblingen der Medien entwickelt und werden von den Spezialkräften genutzt und auf den Fregatten der neuen Klasse 125 eingesetzt. Van Laak: „Da gibt es extreme Probleme mit den G-Kräften (Belastungen des menschlichen Körpers aufgrund starker Änderungen von Größe und/oder Richtung der Geschwindigkeit; Anm). Um diesbezügliche Fragestellungen zu beantworten, tauschen wir uns mit Partnermarinen aus, die gleichfalls diese Probleme bearbeiten. Unsere Untersuchungen fußen nicht zuletzt auf Schäden, die Menschen – ohne Nachweis der Kausalität – erlitten haben, die mit solchen Fahrzeugen gefahren sind.“

Geforscht wird in der Maritimen Medizin immer in einem breiten Querschnitt mit ganzheitlichem Ansatz. Hierzu gibt van Laak ein Beispiel aus dem Zusammenspiel von Psychologie und Ergonomie: „Bei Unfällen auf See oder Havarien – die es unbedingt zu verhindern gilt – spielen neben technischen Aspekten häufig ‚human factors’ wie Übermüdung eine große Rolle. In diesem Zusammenhang sollte man sich über eine bestmögliche Arbeitsplatzergonomie sowie einen möglichst ermüdungsarmen Seewachen-Rhythmus wissenschaftlich fundiert Gedanken machen und hieraus ein ‚best practice’ ableiten.“

Auch wenn das in Kronshagen so niemand sagt, das Schifffahrtmedizinische Institut der Marine ist – nicht nur in Deutschland – nahezu einzigartig. Europaweit existieren lediglich ein oder zwei Arbeitsgruppen, die sich derart umfassend mit Maritimer und Hyperbarer Medizin befassen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass das Institut auf diesem Sektor eine Führungsrolle einnimmt. Unbeschadet dessen gilt, dass auch eine Forschungseinrichtung des Bundes den wissenschaftlichen Output und Wert ihrer Arbeit regelmäßig nachweisen muss. Und so wurden die Kronshagener 2009 erstmals vom Wissenschaftsrat evaluiert, 2014 gab es eine Zwischenbeurteilung und noch vor dem Ende des Jahres 2020 werden die Prüfer erneut in Kronshagen anklopfen. Es handelt sich dabei übrigens um dasselbe Gremium, das auch die Max-Planck-Institute, die Institute der Helmholtz-Gemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft oder die Wissenschaftsgemeinschaft „Blaue Liste“ evaluiert. Der Evaluationsprozess ist für alle wissenschaftlichen Institute in Deutschland identisch.

Fest steht aber bereits jetzt: Die im Zuge der Forschung gewonnenen Erkenntnisse des Schifffahrtmedizinischen Institutes der Marine kommen nicht allein dem sanitätsdienstlichen Personal, das vom Institut aus-, fort- und weitergebildet wird, zugute. In besonderem Maß profitieren hiervon – neben der Deutschen Marine – die Bundeswehr im Allgemeinen sowie deren Partnermarinen innerhalb und außerhalb der NATO.

Fregattenkapitän d.R. Mag. Jürgen Draxler ist Militärjournalist und Publizist.

 

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