• Veröffentlichungsdatum : 06.04.2020

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Europa: Rechtsstaat durchsetzen

Erwin Gartler

Vom 9. bis 10. Februar 2020 fand in Berlin der Europäische Polizeikongress unter dem Motto „Europa: Rechtsstaat durchsetzen“ statt. Neben Paneldiskussionen und Einzelvorträgen zeigten Vertreter der Industrie innovative Produkte aus dem Sicherheitsbereich, darunter auch aus Österreich.

Die innere Sicherheit ist zwar die Domäne eines Nationalstaates, die Herausforderungen lassen sich jedoch nur in einem europäischen Kontext unter Anwendung innovativer technischer Mittel lösen. Der ausgeprägte Föderalismus in Deutschland zeigt im Polizeiwesen seine Schattenseiten. Die Zusammenarbeit der einzelnen Landesbehörden leidet unter der Schwäche der landeseigenen Sonderwege. Umso deutlicher wird die Kooperation auf europäischer Ebene von den verschiedenen Diskutanten hervorgehoben.

Eröffnung durch Innenminister Horst Seehofer

In seiner Eröffnungsrede hat Bundesinnenminister Horst Seehofer den wichtigsten Punkt klar angesprochen: Die Herausforderungen der Zeit sind nur in einem europäischen Kontext zu lösen. Er betonte die Rolle Großbritanniens als Partner für die Sicherheit – trotz des Brexits. Der Informationsaustausch zwischen den europäischen Partnern basierte auf Vertrauen. Das rechtzeitige Erkennen und die Abwehr der Gefahren müsse im Fokus der polizeilichen Arbeit stehen. Auch wenn seine Darstellung die Kriminalitätslage Deutschlands reflektiert, lassen sich für Österreich Rückschlüsse und Erkenntnisse ziehen. Die Einbruchskriminalität ist gesunken, da vor allem die Wohnungseigentümer in die Sicherheit investiert haben. Die Bekämpfung der Kinderpornografie wird forciert. Zunehmend stellen die Reichsbürger ein Problem dar. Im Gegensatz zu Österreich sind diese in Deutschland besonders waffenaffin.

Die Bekämpfung des Extremismus steht in Deutschland in einem besonderen Licht. Das Zentrum des Linksextremismus wird in Leipzig gesehen. Dabei wird vermehrt direkt die Polizei angegriffen. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus stand das Vereinsverbot von „Combat 18“, der deutschen Sektion der 1992 im Vereinigten Königreich als Saalschutztruppe der rechtsextremistischen „British National Party“ gegründeten Vereinigung, im Mittelpunkt. Seehofer fordert – ungeachtet der verstärkten Kooperationen innerhalb der EU – einen starken Staat, der seinen Gegnern mit einer Null-Toleranz begegnet.

Ein Großteil der Eröffnungsrede von Horst Seehofer befasste sich mit dem Außengrenzschutz Europas: „Damit die Binnengrenzkontrollen wegfallen können muss der Außengrenzschutz funktionieren.“  Er kritisierte den zu langsamen Ausbau von Frontex. Bis 2027 ist ein Aufwuchs auf 10.000 Personen geplant. Deutschland stellt dabei das größte Kontingent. Für Seehofer ist klar: Seenotrettung ist eine humanitäre Aufgabe. Jedoch gibt es keinen Staat, der unbegrenzt Migranten aufnehmen kann. Bei einer Überdehnung kommt es zu negativen Entwicklungen und dies verhindere eine geordnete Migration. Aus seiner Sicht sei eine gemeinsame europäische Asylpolitik gleich wichtig wie der Green Deal. Seine Botschaft ist klar: „Wir müssen verhindern, dass sich 2015 wiederholt.“  Griechenland und die Türkei haben eine hohe Belastung. Es müsse bereits an der Außengrenze überprüft werden, wer einreisen darf und wer nicht. Aus Sicherheitsgründen müsse eine Einreise verweigert werden dürfen. 

Europa: Wiederherstellung des Rechtsstaates

Von den zahlreichen Diskussionsrunden stach besonders das Thema „Europa: Wiederherstellung des Rechtsstaates“ hervor. Obwohl der Titel an sich provokativ ist, waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig: der Rechtsstaat funktioniert in Europa. Vielmehr ging es um die Verstärkung des Rechtsstaates, wie es Michael O’Flaherty, Direktor der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, betonte. Starke und unabhängige Gerichte, Rule of Law (das Recht hat absoluten Vorrang vor anderen Maßstäben für hoheitliches Handeln) und die Menschenrechte seien dabei unbedingte Voraussetzungen.

Fabrice Leggeri, der Exekutivdirektor von Frontex, stellte die zukünftige Entwicklung seiner Behörde dar. Organisatorisch stehen das Grenzmanagement, der Ausbau von Überwachungssystemen und Datenbanken sowie der Kampf gegen kriminelle Netzwerke im Mittelpunkt. Dazu werden derzeit aus 7.000 Bewerbungen rund 700 Mitarbeiter rekrutiert und in einer sechsmonatigen Ausbildung auf ihre Aufgaben vorbereitet. Das Einsatzkonzept wird auf die ausgeweiteten Aufgaben angepasst. Neben dem Informationsaustausch mit nationalen Behörden, um ein ständiges Lagebild zu erhalten, wird die operative Komponente erweitert. Als Budget sollen von 2021 bis 2027 rund 11,5 Milliarden Euro für Frontex bereitstehen.

Jürgen Ebner, der stellvertretender Exekutivdirektor von Europol, betont die Wichtigkeit der Prävention zur Verteidigung des Rechtsstaates. Dazu müssen die Behörden frühzeitig über Trends Bescheid wissen. Die Bedrohungsanalyse steht daher im Mittelpunkt – Basisdokument ist die Serious and Organised Crime Threat Assessment (SOCTA). Daneben legt Europol den Fokus auf Terrorismus und Cybercrime. Die Organisierte Kriminalität ist nach wie vor eine der Hauptbedrohungen. Es gibt in Europa rund 5.000 Gruppierungen, die in mehr als drei Staaten agieren. Daher ist eine grenzüberschreitende Kooperation umso notwendiger. Die Sicherstellung von Kokain hat sich zuletzt verdoppelt. Synthetische Opioide, vor allem Fentanyl und seine Derivate, haben bisher einen geringen Anteil, sind aber in der Herstellung einfacher. Diese Substanzen können problemlos versteckt und geschmuggelt werden. Eine große Herausforderung ist die Zunahme des volumenstarken Handels mithilfe von Seecontainern.

Ein verstärktes Problem ist auch das Darknet als Handelsplattform. Die Decodierung stellt sich als technisches Problem dar und korreliert oftmals mit dem Datenschutz. Dezidiert angesprochen hat Ebner den Kampf gegen die Nachrichtenagentur „Amak“, die als Sprachrohr für IS-Propaganda dient. Das Medium bekam zuletzt Aufmerksamkeit, weil es als erstes über einen angeblichen IS-Bezug zu Terrorakten berichtete.

Hasskriminalität und europäische Konzepte gegen Extremismus

Der zweite Tag des Kongresses widmete sich diesen beiden Themen. Ein Prozent der Gesamtstraftaten sind der politisch motivierten Kriminalität zuzuschreiben. Die Gewaltkriminalität ist insgesamt rückläufig. Die Schwankungen sind auch abhängig von Großereignissen, wie dem G20-Gipfel. Gestiegen sind die Gewaltbereitschaft und rassistische Straftaten mit einem Anstieg von über 30 Prozent. Ebenfalls die Qualität der Gewaltdelikte und die Zahl der Gefährder ist stark gestiegen. Dabei wird in Summe von einem die Demokratie gefährdenden Ausmaß gesprochen.

Eine Herausforderung stellt die Veröffentlichung und Verbreitung von Terrorakten in Form von Videos dar. Diese werden in einem Livestream gezeigt, um zur Nachahmung zu animieren. Täter wollen ein breites Publikum erreichen und sich zu Netzwerken zusammenschließen. Verschlüsselungssoftware stellt in der Bekämpfung die größte technische Hürde dar. Zur Abwehr wird auf mehreren Ebenen angesetzt. Beim personenbezogenen Ansatz steht die Identifizierung von Netzwerken im Mittelpunkt, da die Hälfte der Personen bis dato nicht bekannt ist. Dazu wird die Analysekapazität von Europol ausgebaut. Auf der Prozessebene sollen Inhalte im Internet rascher erkannt und gelöscht werden. Die Einschränkung von kriminellen Inhalten bedarf auch einer gesamteuropäischen gesetzlichen Grundlage.

Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland (BAVS), reflektierte die Aufgaben seiner Behörde und die Stellung dieses Dienstes in Deutschland, im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen. Das Gedenken an vergangenes Unrecht sei zu wenig – der Rechtsstaat muss auch durchgesetzt werden. Das BAVS ist historisch gesehen ein Bruch zu den Vorgängerorganisationen und ein radikaler Gegenentwurf zu den Geheimdiensten. Zentrales Merkmal ist der bewusste Verzicht auf exekutive Befugnisse und das Brechen mit der repressiven Vergangenheit. Das Trennungsgebot bedeutet, dass Geheimdienste und ihre heimlichen Mittel von den Zwangsmaßnahmen der Polizei zu trennen sind, die festnehmen oder durchsuchen darf. Haldenwang sagt, dass es keinen noblen Extremismus gäbe – egal ob von links oder rechts. Ein liberaler Staat mache es sich nicht leicht, repressive Maßnahmen zu setzen. „Das Schwert in der Hand der Justitia muss scharf bleiben“, so Haldenwang.

In der Bekämpfung des Rechtsextremismus wird von mehreren Seiten selbstkritisch mehr Sensibilität bei den Behörden gefordert. Quantitativ ist kein Anstieg rechtsradikalen Gedankengutes erkennbar, eher das Gegenteil ist der Fall. Es ist eine kleine Minderheit, die die Agenda bestimmt. Es gibt kaum noch monothematische Proteste, sondern es kommt zur Neubesetzung von Themen, wie die ökologische Transformation. Insgesamt lässt sich sagen: Rechts möchte den Staat übernehmen, Links die aktuelle Ordnung zerstören.

Gilles de Kerchove, der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung in der Europäische Kommission, erklärt einige Eckdaten bezüglich europäischer Konzepte gegen den Extremismus. Die Analyse der Finanzierung des Extremismus könne nur auf europäischer Ebene erfolgreich umgesetzt werden, so Kerchove. Er kritisiert den Mangel an einer einheitlichen EU-Datenbank in mehreren Bereichen. Die Verbreitung des Videos des Anschlages in Christchurch durch radikale Elemente zeigt eine neue Qualität der losen Vernetzung von terroristisch motivierten Gruppen. Diese gilt es zu identifizieren und zu überwachen. In Frankreich zum Beispiel gibt es rund 21.000 Personen mit einer Radikalisierung in verschiedenen Stadien. Für Gilles de Kerchove ist das Ziel der Radikalisierung von rechts klar: Es ist ein politisches Projekt.

Fazit

Der Rechtsstaat in Europa ist der Endpunkt einer langen und wechselhaften Entwicklung und vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt. Transnationale Kriminalität hat sich in vielen Bereichen weiterentwickelt, ihre Bekämpfung hinkt teilweise hinterher. Der liberale Staat befindet sich oft im Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Menschenrechten versus eine effektive Bekämpfung der Kriminalität. Technische Entwicklungen wie Verschlüsselungssoftware stellen Ermittlungsbehörden derzeit vor kaum lösbare Hürden. Während im Terrorismus die „einsamen Wölfe“ – Einzeltäter, die bis zur Tat kaum aufgefallen sind – agieren, sind es in der Organisierten Kriminalität transnationale Banden. Um diese zu erkennen, zu fassen und der Justiz mit aussagekräftigen Beweisen übergeben zu können, benötigen Polizeibehörden juristische und technische Werkzeuge. Sonst ist ein demokratischer Staat zwar liberal, aber nicht sicher. Ohne die europäische Zusammenarbeit und Kooperation kann der nationale Rechtsstaat nicht geschützt werden.

Website: Europäischer Polizeikongress

Oberst Mag. Erwin Gartler, MSc MBA ist Leitender Redakteur beim TRUPPENDIENST. 

 

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