• Veröffentlichungsdatum : 26.06.2018
  • – Letztes Update : 29.06.2018

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  • 1173 Wörter

„Die Kadetten sind sich der Anforderungen von Beginn an bewusst.“

Michael Barthou

Generalleutnant Dr. Pavlo Tkatschuk ist seit 16 Jahren Kommandant der Akademie der Landstreitkräfte in Lemberg und „Herr“ über 16.000 Personen. Mit TRUPPENDIENST spricht er über die Herausforderungen der Akademie, die Offizierslaufbahn und den Antrieb junger Menschen, sich für eine Karriere beim Militär zu entscheiden. 

TRUPPENDIENST (TD): Herr Generalleutnant, vor welchen großen Herausforderungen steht die Akademie der Landstreitkräfte heute?

Pavlo Tkatschuk (PT): Eine große Herausforderung für die Akademie, aber auch für die gesamten Streitkräfte, ist die Anti-Terror-Operation (ATO) im Osten des Landes, da die Sicherheit des Staates oberste Priorität hat. Die Nationale Akademie der Landstreitkräfte hat dabei eine Schlüsselrolle. Unsere Aufgabe ist die Ausbildung von hochqualifizierten Berufssoldaten. Die modernen bewaffneten Konflikte, besonders ihr hybrider und asymmetrischer Charakter, diktieren uns neue Herausforderungen. Folglich ist eine unserer Hauptaufgaben die Perfektionierung des Ausbildungsprogrammes der angehenden Offiziere sowie die Implementierung der heimischen und weltweiten Erfahrungen, besonders der NATO-Standards. Momentan gelingt uns das gut.

TD: Wie erfolgt die Auswahl für die Aufnahme an Ihrer Akademie? Gibt es eine ausreichende Anzahl von Kandidaten und bereits studierender Kadetten?

PT: Die Ausbildung unserer Kadetten beginnt mit einer fundierten Auswahl von Kandidaten für das Studium. Bei einem Auswahlverfahren müssen die Maturanten nicht nur ein hohes Wissen nachweisen sowie über eine ausreichende körperliche Fitness verfügen, sondern auch eine besonders hohe psychische Bereitschaft aufweisen. Trotzdem stellen die hohen Anforderungen keine Limitierung von potenziellen Bewerbern dar. Aufgrund der komplexen staatlichen Lage kommen von Jahr zu Jahr immer mehr junge Frauen und Männer zu uns, die Führungskräfte werden wollen. Ein Kampfeinsatz mit allen seinen Gefahren schreckt sie nicht ab. Darüber hinaus kommen immer mehr Interessenten von der Truppe. Es sind Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere, die unter anderem unmittelbar an Kampfhandlungen teilnahmen. Also Personen, die den Krieg nicht allein vom Hörensagen kennen und deren Motivation überdurchschnittlich hoch ist. Insgesamt gibt es, trotz einer erheblichen Steigerung der Studienplätze, eine größere Anzahl von Interessenten, als Plätze vorhanden sind. In einigen Fächern gibt es sogar einen Wettbewerb zwischen fünf und mehr Personen um einen Ausbildungsplatz.

TD: Wie sieht die typische Karriere eines Absolventen Ihrer Lehranstalt aus?

PT: Unsere Absolventen sind vor allem hochqualifizierte Offiziere und Kommandanten der taktischen Führungsebene. Nach Abschluss des Studiums bekleidet die Mehrheit von ihnen in ihren jeweiligen Waffengattungen die Funktion eines Zugskommandanten. Wie aber die Erfahrung zeigt, rücken alle rasch auf höhere Positionen vor. So kann es sein, dass sie schon nach wenigen Monaten als Kompanie- oder Batteriekommandanten eingeteilt werden. Nach ein bis zwei Jahren kann sogar eine Funktion im Kommando eines Bataillons oder im Stab eines größeren Verbandes eingenommen werden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die derzeitigen Kadetten die Grundlage für den Aufbau des Heeres der Zukunft sind.

TD: Wie viel verdient ein junger Offizier bzw. Absolvent der Akademie? Gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Fachgebieten?

PT: Heute hat sich die Lage der Arbeitsplatzsicherheit sowie das Ansehen eines Soldaten radikal zum Besseren verändert. Der Offizier der Streitkräfte wie auch in gewissem Maß die Unteroffiziere und Mannschaften sind in der Gesellschaft sehr hoch angesehen. Die finanzielle Absicherung eines jungen Offiziers und Absolventen ist fast zweimal so hoch wie der Durchschnittslohn im Land. Außerdem gibt es ein effektives System der finanziellen Kompensation für die Wohnungsmiete und eine Reihe von Zulagen und Prämien. Wenn ein Soldat in einem Einsatz wie der ATO ist, dann beträgt die Entlohnung unter Einbeziehung entsprechender Zulagen und abhängig von den Umständen noch einmal fast das Zweifache. Das ist im Vergleich mit den Armeen der „westlichen“ Welt wenig. Es erlaubt jedoch, sich selbst und die Familie auf einem guten Niveau zu versorgen.

TD: Wie groß ist der Anteil der Frauen unter den Kadetten der Akademie? Hängt ihre Zahl von der gewählten Fachrichtung ab?

PT: Die Gleichberechtigung ist eine der aktuellen Fragen im ukrainischen Heer. An der Nationalen Akademie der Landstreitkräfte sind wir bestrebt, ein Vorreiter für positive Lösungen zu sein. Die Mehrheit unserer Kadetten sind Männer. Mit jedem Jahr werden es aber mehr Frauen, die eine höhere militärische Ausbildung so wie ihre männlichen Kameraden anstreben. Die meisten Frauen streben die Fachbereiche „Kulturpolitik“ und „Erziehungsarbeit“ an. In Zukunft werden sie für die moralisch-psychologische Unterstützung der Soldaten in der Truppe verantwortlich sein und die Funktionen der stellvertretenden Kompanie- und Bataillonskommandanten einnehmen. Eine große Anzahl von Soldatinnen absolviert die Ausbildung am NCO-College überwiegend in Fachbereichen der Logistik. Nebenbei bemerkt, wurden erstmals in der Geschichte der Ukraine an unserer Akademie Frauen als Führungskräfte eines Artillerieaufklärungsverbandes ausgemustert. Vor zwei Jahren wurde mit diesem Projekt begonnen, und ich kann mit Gewissheit sagen, dass es erfolgreich war. Diese Kommandantinnen können in vielen militärischen Fragen ihren männlichen Kollegen sogar Tipps geben. 

TD: Kann der Kadett ein konkretes Fach wählen, in dem er eine Ausbildung möchte?

PT: Die Aufnahmeregeln für die Ausbildung an unserer Lehranstalt sehen vor, dass jeder Anwärter selbstständig das eine oder andere Fach entsprechend der persönlichen Neigungen und Interessen wählen kann. Das ist uns wichtig, denn der Dienst bei der Truppe muss in weiterer Folge auch eine gewisse Zufriedenheit erzeugen. Es gibt aber Einzelfälle, dass der Kadett während der Ausbildung entscheidet, das Fachgebiet wechseln zu wollen. Wenn es von unserer Seite dazu die Möglichkeit gibt, versuchen wir, dem zu entsprechen.

TD: Wie und wodurch können die Kadetten aus der Akademie ausscheiden?

PT: Die Kadetten sind sich der Anforderungen von Beginn an bewusst. Daher hat die Frage des Ausscheidens aus der Akademie oft einen objektiven Charakter. Entweder ist es der Gesundheitszustand oder es sind existenzielle, persönlichen Gründe. Selten sind es mangelnder Erfolg in der Ausbildung und schlechte Disziplin. Obgleich letztere Kriterien außerordentlich wichtig sind. Gleichzeitig ergeben die neuesten Trends, dass immer weniger Personen die militärische Laufbahn verlassen. In der Gesamtschau sind dies Einzelfälle.

TD: Was ist heute der Garant des Erfolges dieser Lehranstalt?

PT: Die qualitativ hochwertige Ausbildung mit Militärexperten hängt von vielen Faktoren ab. An der Nationalen Akademie der Landstreitkräfte bilden sie einen Komplex von Prozessen und Maßnahmen. Das sind vor allem die wissenschaftlich-pädagogischen Mitarbeiter, Offiziere und Beamte, die dank ihrer umfassenden Kenntnisse und Erfahrung die neue Generation der Kadetten unterrichten und erziehen. Unter ihnen ist eine erhebliche Anzahl von kampferfahrenen Offizieren, die wissen, was im Einsatz für den Kommandanten notwendig ist, um den Kampfauftrag erfolgreich durchzuführen und dabei das Leben der eigenen Untergebenen zu erhalten.

Ein wesentlicher Faktor sind die Lehreinrichtungen, sowohl in der eigenen Garnison als auch auf dem Truppenübungsplatz, moderne Lehr- und Trainingskomplexe, spezielle Hörsäle, Simulationszentren, die für die Schulung der Kadetten notwendige Bewaffnung und Ausrüstung, ein verzweigtes System von Schießplätzen, Gelände zum Fahren mit gepanzerten Kampffahrzeugen etc. Das Lehrpersonal arbeitet ständig daran sich weiterzuentwickeln, und zwar mit Unterstützung der höheren militärischen Führung und Beratern anderer Staaten wie seit 2017 dem deutschen Militärberater.

Heutzutage arbeiten in der Akademie und in ihren Strukturelementen ständig ausländische Soldaten als Berater. Im Internationalen Zentrum für Friedenssicherung und Sicherheit erfolgt bereits das dritte Jahr in Folge die Ausbildung ukrainischer Kampfverbände unter Teilnahme ausländischer Ausbilder. In diesem Zeitraum wurden dank der Unterstützung der Streitkräfte der USA, Kanadas, Polens, der Litauischen Republik, Großbritanniens, Dänemarks und Schwedens bereits zehn Bataillone der ukrainischen Streitkräfte und drei Bataillone der ukrainischen Nationalgarde ausgebildet.

 

Das Interview führte Oberrat Major Mag.(FH) Michael Barthou, MA, Leiter der Redaktion Online-Medien beim TRUPPENDIENST.

 

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