• Veröffentlichungsdatum : 12.09.2018
  • – Letztes Update : 13.09.2018

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Das entscheidende Gelände der Raumverteidigung 2

Gerold Keusch, Rudolf Halbartschlager

Teil 2: Der Kräfteeinsatz in der Schlüsselzone 35

Die taktischen und operativen Überlegungen hinsichtlich eines geplanten Einsatzes in der Schlüsselzone 35 führten zur Verstärkung dieses Raumes und zum Ausbau der militärischen Anlagen. Um einen erfolgsversprechenden Abwehr- bzw. Verzögerungskampf führen zu können, wäre eine Vielzahl von Verbänden mit unterschiedlichen Waffensystemen zum Einsatz gekommen. Im Ernstfall hätten sich etwa 35.000 bis 40.000 Soldaten in diesem Raum befunden.

Die Gliederung der Kräfte und die Grenzen der Bataillone veränderten sich während des Bestehens der Schlüsselzone 35 aufgrund der Phase des Ausbaus. Am Ende des Kalten Krieges stellte sich die Gliederung der territorialen Kräfte (Teile des Landwehrstammregimentes 35) wie folgt dar:

  • Sperrbataillon 351;
  • Sperrbataillon 352;
  • Sperrbataillon 353 (nur geplant);
  • Sperrbataillon 354;
  • Sperrbataillon 355;
  • Selbstständige Sperrkompanie Ströblitz (vom LWSR 35 unmittelbar geführt);
  • Flusssperrkompanie Strudengau;
  • Wachkompanie Wallsee;
  • Wachkompanie Ybbs;
  • Wachkompanie Melk;
  • Ortsfeste Artilleriebatterie Amstetten;
  • Ortsfeste Artilleriebatterie Euratsfeld.

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Einsatzszenarien im Großen

Für den konkreten Einsatz des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) gegen einen Aggressor aus dem Osten gab es zwei grundsätzliche Varianten: Erstens den Angriff der gegnerischen Hauptkräfte von Ost nach West entlang des Donautales (Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich) mit einem Begleitstoß von Ost nach Süd (Burgenland, Steiermark und Kärnten) in Richtung Italien und zweitens die umgekehrte Variante des Hauptstoßes von Ost nach Süd mit einem Begleitstoß von Ost nach West. Diese beiden Varianten hätten sich auf den Einsatz der Kräfte in der Schlüsselzone 35, deren Gliederung und Unterstellungsverhältnisse ausgewirkt.

Hauptstoß von Ost nach West

Bei dieser, als wahrscheinlich beurteilten Variante, wären die angeführten Verbände und Einheiten des Landwehrstammregimentes 35 (LWSR 35) einer Division unterstellt worden. Diese hätten als territoriale Komponente die

  • 3. Jägerbrigade,
  • 6. Jägerbrigade und
  • 9. Jägerbrigade

dieser Division am Vordersten Rand der Verteidigung und in der Tiefe der Schlüsselzone 35 verstärkt. Zusätzlich waren bei diesem Szenario das Fliegerabwehrregiment 1, Teile der Divisionsartillerie sowie eine Panzergrenadierbrigade als bewegliches Element im Raum vorgesehen.

Die Panzergrenadierbrigade hätte die Hauptaufgabe gehabt, gegnerische Durchbrüche zu bereinigen sowie im Bedarfsfall Gegenangriffe durchzuführen. Bei einem Gegenangriff hätte dieser mechanisierte Verband bzw. ein Teil davon (eine oder mehrere Kampfgruppen) einen Schwächemoment des Gegners - beispielsweise nachdem sein Stoß abgewehrt worden wäre - ausnützen sollen, um diesen anzugreifen. Ein weiterer möglicher Einsatz bestand darin, einen Gegner in der Flanke anzugreifen, wenn dessen zweite Angriffswelle auf die Verteidigungsstellungen geprallt wäre. Damit hätten die eigenen Verteidigungskräfte, die nach der Abwehr des ersten Angriffes nicht mehr in der Lage gewesen wären zu verteidigen, unterstützt werden sollen, um dennoch einen zweiten Abwehrerfolg zu erreichen.

Das Fliegerabwehrregiment 1 hätte im Raumschutzeinsatz die Artillerie- und Gegenangriffskräfte gegen eine Bedrohung aus der Luft schützen sollen. Dazu waren Stellungsräume östlich von Euratsfeld und im Bereich des Kleinen Erlauftales bzw. bei Schauboden vorgesehen. Dabei wären 2-cm-Fliegerabwehrkanonen (FlAK 65/68) mit einer Reichweite bis zu 1.500 m und 3,5-cm-Zwillingsfliegerabwehrkanonen (ZFlAK 85) mit einer Reichweite bis zu 3.000 m, zum Einsatz gekommen.

Begleitstoß von Ost nach West

In diesem Fall, der als unwahrscheinlichere Variante beurteilt worden war, wären die angeführten territorialen Kräfte in der Schlüsselzone 35 unter dem Kommando des Landwehrstammregimentes geblieben.

Einsatz der Kräfte im Raum

Sperrbataillon 355 

Das Sperrbataillon 355 war östlich von Ardagger bis zur Mündung der Ybbs in die Donau im gesamten Strudengau eingesetzt. Der Auftrag des Bataillons lautete, einen Gegner, der sich von Norden an die Donau angenähert hätte, zu bekämpfen und dessen Vormarsch dadurch zu verzögern. Zu diesem Zweck waren die Festen Anlagen dieser Kompanie auf die Verbindungsstraßen aus dem Mühlviertel bzw. dem Waldviertel zwischen Grein und Persenbeug gerichtet. So sollte eine Nutzung des Donaukraftwerkes Ybbs/Persenbeug und der Greiner Brücke als Übergangsstelle verhindert und die Bewegung von Persenbeug, Weins, Ysperdorf, Hirschenau, Sarmingstein, St. Nikola und Grein zur Donau verlangsamt werden.

Sperrbataillon 354

Das Sperrbataillon 354 war von der Ybbsmündung im Norden bis Wieselburg im Süden eingesetzt, wobei der Einsatzraum im Westen bis Kemmelbach reichte. Die Tiefe ist hier deshalb erwähnenswert, da sich dort die selbstständige Sperrkompanie Ströblitz befand. Dieses Gebiet war dicht mit Festen Anlagen bestückt, die sich vor allem nördlich von Petzenkirchen, nördlich und südlich der Autobahn 1 bzw. der Bundesstraße 1 bei Sarling, befanden. Das war darin begründet, dass man den Hauptstoß der gegnerischen Division entlang dieser Bewegungslinien annahm. Von den dortigen Anlagen, konkret von jenen bei Berghof nördlich von Petzenkirchen, hätte man Sicht auf das „Divisionsdrehkreuz“ bei Erlauf gehabt. Dort hätte sich der gegnerische Divisionskommandant entscheiden müssen, ob er den Hauptstoß tatsächlich entlang der Bundesstraße 1 oder doch entlang des Kleinen Erlauftales führt.

Selbstständige Sperrkompanie Ströblitz

Diese Kompanie mit ihren Festen Anlagen war östlich des Sperrbataillons 354 zwischen der Eisenbahntrasse der Westbahn bei Neumarkt im Norden und Weinzierl im Süden in der Tiefe (westlich) der Sperrbataillons 354 eingesetzt und wäre vom Landwehrstammregiment 35 unmittelbar geführt worden. Sie hätte das Durchstoßen des Gegners entlang der Bundesstraße 1 bzw. der Autobahn 1 als zweite ausgebaute Linie hinter dem Sperrbataillon 354 verzögern sollen. Diese Sperrkompanie war vor allem dann bedeutend, wenn sich die gegnerische Division westlich der Engstelle Kemmelbach beidseits der Ybbs - trotz der räumlichen Trennung durch den Fluss und die Hügelkette Sarling-Blindenmarkt - entwickelt hätte, um weiter Richtung Amstetten zu stoßen.

Sperrbataillon 353

Dieses Sperrbataillon war aufgrund der erreichten Ausbaustufe der Raumverteidigung nicht formiert und blieb deshalb ein Teil des Sperrbataillons 352. In einer weiteren Ausbaustufe wäre die Aufstellung dieses Verbandes vorgesehen gewesen, was durch die Größe des Verantwortungsbereiches sowie die beurteilte Bedrohung begründet war. Dazu wäre eine Neuformierung des Landwehrstammregimentes notwendig gewesen, die es aber auch bereits früher gab. Diese hätte vermutlich so ausgesehen, dass nach dem Bau zusätzlicher Anlagen die Bataillonsbereiche verkleinert worden wären.

Sperrbataillon 352

Das Sperrbataillon 352 war südlich des Sperrbataillons 354 und der selbstständigen Sperrkompanie Ströblitz von Steinakirchen und Wolfpassing im Westen über Zarnsdorf bis Weinzierl im Osten bzw. Purgstall im Süden eingesetzt. Der Auftrag dieses Bataillons war es, eine Umfassung bzw. einen Stoß über den Südwesten oder den Süden abzuwehren bzw. zu verzögern. Der südwestliche Stoß wäre von Wieselburg entlang dem Kleinen Erlauftal und in weiterer Folge über Steinakirchen und Wolfpassing nach Blindenmarkt zum Ybbsfeld und weiter Richtung Amstetten erfolgt. Der südliche Stoß wäre dann erfolgt, wenn der Widerstand im kleinen Erlauftal westlich von Wieselburg zu stark gewesen wäre. Dann hätte der Angreifer vermutlich eine Umfassung entlang des Erlauftales bei Purgstall durchgeführt und wäre südlich von Zarnsdorf in das Kleine Erlauftal gestoßen. Dort wäre er zunächst - wie beim südwestlichen Stoß - über Steinakirchen und Wolfpassing nach Blindenmarkt ins Ybbsfeld gestoßen, um den Angriff weiter Richtung Amstetten fortzusetzen.

Im Bereich des Sperrbataillons 352 gab es eine Feste Anlage die kurioserweise nicht nach vorne oder in die Flanke, sondern in den Rücken des Gegners gewirkt hätte. Diese war in einen Abbruch hineingebaut und hätte gegnerische Kampfpanzer von hinten beschießen sollen. Das wäre insofern effektiv gewesen, da ein Angreifer vermutlich nicht mit Feuer aus dem Rücken gerechnet hätte und ein Kampfpanzer im Heck bzw. an der Rückseite des Turmes nur gering gepanzert ist. So kreativ und wohl durchdacht diese Anlage auch war, wäre sie ein Himmelfahrtskommando gewesen, das eine besonders „todesmutige“ Mannschaft erfordert hätte.

Sperrbataillon 351

Das südlichste Sperrbataillon, das im Anschluss an das Sperrbataillon 352 nördlich und südlich der Bundesstraße 22 von Stock bis Scheibbs eingesetzt war, verfügte nur über eine Feste Anlage. Der Auftrag des Bataillons war es, ein Durchstoßen des Gegners entlang dieser Bundesstraße Richtung Gresten zu verhindern. Gemäß der Doktrin des Warschauer Paktes zählte dieser Raum bereits zum bewaldeten Mittelgebirge, den man gemieden hätte, da man dort mit mechanisierten Kräften nur mehr die Bewegungslinien benützen kann.

Wachkompanien Melk, Ybbs und Wallsee

Diese Kompanien hatten den Auftrag, die Donaukraftwerke zu sichern und sie dadurch einerseits für eigene Bewegungen offenzuhalten und andererseits deren Inbesitznahmen durch gegnerische Kräfte zu verhindern. Konkret bestand die Annahme, dass durch Fallschirmjäger in Zusammenarbeit mit Kommandosoldaten eine vorgestaffelte Inbesitznahme der Donaukraftwerke erfolgen könnte. Zusätzlich waren die Wachkompanien dafür verantwortlich das Abwehrsystem Donau zu ermöglichen, da ihre Sicherung den Betrieb und somit die Funktion der Donaukraftwerke Melk, Ybbs und Wallsee sicherstellen sollte.

Flusssperrkompanie Strudengau

Diese Kompanie hatte de facto den gleichen Auftrag wie die Wachkompanien an den Donaukraftwerken, jedoch an der Greiner Donaubrücke. Im Gegensatz zu diesen hatte sie als letzte Maßnahme zur Verzögerung des Gegners auch den Auftrag, diese Brücke zu sprengen, in der bereits in Friedenszeiten die Sprengkörbe (ohne Sprengstoff) angebracht waren.

Ortsfeste Artilleriebatterien Amstetten und Euratsfeld

Beide Batterien bestanden aus je fünf Bunkern, einem Kommando- und vier Geschützbunker, die mit je einem 15,5-cm-Artilleriegeschütz vom Typ „Long Tom“ bestückt waren. Die ortsfeste Artilleriebatterie Amstetten, die sich unmittelbar südlich der Ostarrichi-Kaserne in Pittersberg befand, hätte auf den Raum nördlich der Donau bzw. des Sperrbataillons 355 gewirkt. Die ortsfeste Artilleriebatterie Euratsfeld, die sich beim Umberg zwischen Euratsfeld und Ferschnitz befand, hätte die Sperrbataillone 354, 352 und 353 (nach dessen Aufstellung) unterstützen sollen und vor allem in den Raum Schauboden nördlich von Purgstall gewirkt.

Geheim und dennoch aufgeklärt

Die konkreten Pläne der Verteidigungsanstrengungen des Bundesheeres waren damals als „Geheim“ oder „Streng geheim“ eingestuft. Das gleiche galt auch für die militärische Ausgangssituation und die Überlegungen, die die Grundlage dieser Pläne waren oder das militärische Ziel, das man damit erreichen wollte. Somit waren diese auch in der Bevölkerung weitgehend unbekannt, was sich hinsichtlich der Legitimität der Landesverteidigung im Ganzen sowie der Raumverteidigung im Besonderen als problematisch herausstellte.

Wie weit die Panzertürme der „Gegenseite“, den Streitkräften der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten bekannt waren, lässt sich heute nicht verlässlich sagen. Sicher ist jedoch, dass es Aufklärung bzw. Spionage in den Schlüsselzonen gab. So durften Offiziere aus Tschechien oder Ungarn beispielsweise in Österreich Urlaub machen, die dann auch in der Schlüsselzone 35 anzutreffen waren, wo sie „Erinnerungsfotos“ machten. Man kann deshalb davon ausgehen, dass die Festen Anlagen aufgeklärt waren und die potenziellen Gegner auch relativ genau wussten, wo sich die restlichen Verteidigungsstellungen befanden. Das war insofern keine allzu schwierige Aufgabe, da in der Schlüsselzone aufgrund des massiven Personaleinsatzes (bei einem Hauptstoß durch den Donauraum) beinahe jeder Hügel und jeder Waldrand verteidigt worden wäre. Zusätzlich gab es auch Scheinstellungen, bei denen Hütten nachgebaut wurden, die wie Feste Anlagen aussahen, um die gegnerischen Aufklärungs- und Angriffskräfte zu täuschen.

Ob diese Informationen im Falle eines Angriffes jedoch bis zu den gegnerischen Panzerbesatzungen durchgedrungen wären, und ob sie diese hätten verwerten können, darf bezweifelt werden. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung des Warschauer Paktes besuchten hohe Offiziere (beispielsweise aus Ungarn) die Amstettner Kaserne, wo sie in die grundsätzlichen Abwehrpläne der Raumverteidigung und in die Schlüsselzone 35 eingewiesen wurden. Diese waren geschockt über das Ausmaß und die Qualität der Befestigungsmaßnahmen in der Region. Diese Offiziere, die noch ein paar Jahr zuvor die Kommandanten der Angriffsspitzen gewesen wären, erhielten - zumindest in Friedenszeiten - keine oder nur spärliche Informationen über die österreichische Verteidigungsbemühungen.

Aus der Perspektive der Panzerbesatzungen wären die Festen Anlagen ein schwierig zu identifizierendes Ziel gewesen. Wenn sich ein Panzerkommandant, der nur ein kleines Sichtfeld hatte, an einen Waldrand mit einer Festen Anlagen genähert hätte, wäre er vor folgender Herausforderungen gestanden: Die Panzerkanone durch den kleinen Sichtschlitz finden, mit dem ersten Schuss die richtige und nicht die Scheinstellung treffen, sowie überhaupt in die Lage kommen einen Schuss abzugeben, ohne vorher bereits getroffen worden zu sein. Darüber hinaus konnte die Panzergeneration, aus der damals die Masse der eigenen sowie der gegnerischen Kräfte bestand, aufgrund der fehlenden Rohrstabilisierung nicht aus der Bewegung feuern. Somit hätte ein Panzer vor jedem Schuss mit der Panzerkanone stehenbleiben müssen, was ihn wiederum zu einem leichten Ziel gemacht hätte.

Das Ende der Schlüsselzone 35

Die letzten Festen Anlagen der Schlüsselzone 35 wurden erst in den 1990er Jahren fertiggestellt. Kurz darauf wurde bereits damit begonnen, die ersten Anlagen in Österreich abzubauen. Inzwischen war ab dem Jahr 1992 die Umgliederung der Landwehrstammregimenter in Jäger- und Stabsregimenter erfolgt, die mit einer deutlichen Reduktion der personellen Stärke einherging.

Das Ende der Raumverteidigung ist insofern mit der Garnison Amstetten und „seiner Schlüsselzone“ verbunden, da dort im Jahr 1994 (Einrückungstermin Oktober) die letzten Sperrjäger ausgebildet wurden und im August 2016 auch einer der letzten Panzertürme einer Festen Anlage (im Strudengau/Sperrbataillon 355) ausgebaut wurde. Mit dem Ausbau dieses Panzerturmes endete die Ära der Raumverteidigung - nicht nur in dessen entscheidendem Gelände, sondern auch in Österreich - endgültig.

Auf einen Blick

Das Konzept der Raumverteidigung war eine Mischung aus verschiedenen militärischen Vorbereitungen zu einer Zeit, als das ÖBH mit wenig Mitteln einer großen Bedrohung gegenüberstand. Daher musste das ÖBH und seine Soldaten das tun, was sie „am besten“ können: mit einem Minimum an Mitteln, ein Maximum an Effizienz erreichen. Somit entstand das operative Konzept zwar „aus der Not“ heraus, die taktische und operative Umsetzungen waren jedoch durchdacht und wurden durch Offiziere wie dem Kommandanten des LWSR 35, Oberst Robert Staribacher, schrittweise weiterentwickelt.

Heute kann man darüber spekulieren, was geschehen wäre, wenn der Kalte Krieg „heiß“ geworden wäre, und die Frage der Effizienz des Konzeptes lässt sich nicht klar beantworten. Fest steht jedoch, dass die Gefechtstechnik und Taktik - zumindest jene, die sich auf die Festen Anlagen abstützt - heute nicht mehr anwendbar wäre, da ein stationärer Einsatz in Bunkern aufgrund der modernen Waffentechnik de facto sinnlos ist. Die exakte Positionsbestimmung wäre relativ einfach und sobald die GPS-Koordinaten bekannt wären, könnten solche Bunkeranlagen von einer gelenkten Rakete oder Bombe gezielt vernichtet werden.

Dennoch lässt sich aus den damaligen Verteidigungsbemühungen der Schluss ziehen, dass es den Verantwortlichen ernst war, Österreich zu verteidigen. Das galt auch für die Soldaten, die zur Zeit des Kalten Krieges in der Schlüsselzone 35 ausgebildet wurden und dort eingesetzt worden wären. Die meisten von ihnen waren davon überzeugt, dass dieses Verteidigungssystem mit seinem Mix hinsichtlich der stationären und beweglichen Kampfführung funktionieren würde. Gemäß dem Leitspruch „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“, waren sie nicht nur dazu ausgebildet ihre Waffen bzw. Waffensysteme einzusetzen und die erlernten Gefechtstechniken anzuwenden, sondern auch motiviert das im Ernstfall auch tatsächlich zu tun.

Die Raumverteidigung war als Verteidigungsdoktrin nicht geeignet, um einen Krieg zu gewinnen, was auch nie der Plan war. Das Ziel war es vielmehr zu verhindern, dass Österreich zum Schauplatz eines Krieges geworden wäre. Wenn auch das nicht möglich gewesen wäre, so wollte man als Minimalziel zumindest verhindern, dass Österreich zum Aufmarschgebiet ausländischer Armeen und damit zum potenziellen Ziel taktischer Atomwaffen geworden wäre. So wollte man einen militärischen Konflikt zwischen den Blöcken so unbeschadet wie möglich überstehen, und den Schaden für das Land und die Bevölkerung möglichst gering halten. Dieses Konzept ist aber auch als Maßnahme zu interpretieren, mit der die Republik Österreich zum Ausdruck brachte, dass sie ihren völkerrechtlichen Status als Neutraler ernst nimmt und gewillt ist die Neutralität im Sinne des Bundesverfassungsgesetzes vom 26. Oktober 1955 (Neutralitätsgesetz) „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrecht [zu] erhalten und [zu] verteidigen“.

Teil 1: Taktische Überlegungen und Ausbau der Schlüsselzone 35

Offiziersstellvertreter Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST; Oberst Rudolf Halbartschlager, MSD ist Kommandant des Jägerbataillons 12 in Amstetten.

 

Artikelserie "Der Weg zur Raumverteidigung":

Teil 1: Vom Staatsvertrag zur Spannocchi-Doktrin

Teil 2: Strategische Lage und Bedrohungsbild in den 70er und 80er Jahren

Teil 3: Die Realisierung des Konzepts der Raumverteidigung 

 

Ihre Meinung

Meinungen (1)

  • Kauf Michael // 17.09.2018, 13:21 Uhr Sehr geehrte Redaktion!

    Nach der sehr interessanten Beschreibung der Schlüsselzone wäre es dort wohl zu chaotischen Zuständen gekommen. Die Verteidiger, die Angreifer, die dort verbliebene Bevölkerung, usw. hätte sich ineinander verzahnt und es wäre sicher für Angreifer wie Verteidiger so verwirrend geworden, daß beide Seiten ihre Ziele nur unter hohen Verlusten erreicht hätten.
    Die beschriebenen Verteidigungsvorhaben wären kurzzeitig wohl erfolgreich gewesen, ein rechtzeitiger Rückzug aus den festen Anlagen hätte aber erfolgen müssen. Da die bekannten Anlagen aber keine langen Ausgänge in ein gedecktes Gelände aufweisen, wo die Besatzung dann z B. in den Schutz eines Jagdkommando-Trupps geflüchtet wäre, hat die Politik offenbar hohe Verluste einkalkuliert. Es wäre interessant, diese Anlagen mit denen der Schweiz zu vergleichen. Der Zweck ist zumindest ähnlich.
    Zum letzten Absatz möchte ich bemerkten, daß zwar (dzt.) eine solche Verteidigungslage unwahrscheinlich ist, aber ein Bunker nicht a priori als unwirksam gelten darf. Eine Anpassung an heutige technische Schutz-, Tarn- und sonstige Konzepte wäre für bestimmte Zwecke sicher möglich. Die damalige Konzeption, einfach einen alten Pz-Turm gut zu verstecken, genügt natürlich nicht. Eine Aufwertung mit modernem Pz-Schutz, Tarnung in allen Emissionsspektren, größerer Bauradius rundum und mind. 2 Ausgänge, die auch weit weg führen, wäre machbar. Für Österreich scheint das aber bis auf weiteres nicht notwendig.
    Mit besten Grüßen!
    Michael Kauf, OltdRes